Der Tag, an dem wir unsere neuen Motorräder in San Crisóbal abholen, fühlt sich an wie ein kleiner Meilenstein. Mit Helm, Motorradjacke – und natürlich Roberts Werkzeugtasche – stehen wir aufgeregt im Italika-Geschäft. Unsere beiden Italika DM 300 warten schon auf uns, über eine Anzahlung sind sie längst reserviert. Doch bevor wir losfahren können, muss Robert erstmal die Kettenspannung ändern und und wir bekommen gleichzeitig erste Einblicke in mexikanische Bürokratie.
Die Vertragserstellung zieht sich hin, ist kompliziert, aber extrem wichtig. Wir haben gelernt: Der Kaufvertrag ist in Mexiko der einzige Besitznachweis. Einen Fahrzeugbrief gibt es nicht. Und auch einen Fahrzeugschein sieht man selten – weil die meisten Motorräder in Mexiko ohne Nummernschilder unterwegs sind. Wir dagegen wollen über Grenzen reisen. Also brauchen wir Nummernschilder. Klingt logisch und einfach – und ist der Anfang einer langen Geschichte …

Bürokratie auf mexikanisch
Wir lernen schmerzlich: Mit einer Residencia Temporal kann man im Bundesstaat Chiapas kein Fahrzeug anmelden. Das lassen wir uns sogar von einer Dame vom Amt bestätigen, die gegen ein gewisses Entgelt bereit war uns zu helfen (die wiederum eine Freundin eines Freundes ist – Mexiko eben). Also denken wir an Baja California. Dort kennen wir Erik, der uns schon bei den anderen Papieren geholfen hat. „Kein Problem, das geht hier“, sagt er. Wir beauftragen ihn. Drei Tage später kommt die Ernüchterung: „Nummernschilder gibt’s nur, wenn ihr auch einen hiesigen Führerschein habt.“ Ein internationaler reicht leider nicht.
Also Plan C: ein dritter Bundesstaat. Wir recherchieren, telefonieren, lesen unzählige Kommentare in Facebook-Gruppen und stellen fest:
Jeder Bundesstaat hat eigene Regeln – und alle sind undurchsichtig. Trotzdem sind wir sicher: Irgendwann finden wir eine Lösung.
Bis dahin fahren wir wie Millionen Mexikaner ohne Nummernschilder durch die Lande. Aber ganz leer sind unser „Nummernschilder“ eigentlich nicht. Darauf steht: El motor de su vida.
Nichts offizielles – aber ziemlich passend.

Unser Alltag in Chiapas
Jeden Vormittag arbeiten wir mit Daniel bei unserer Workawayfamilie: Wir bauen eine Cabaña – unser erstes Hausprojekt in Mexiko!
Während wir messen, mauern, sägen und hämmern, läuft mexikanische Musik und wir trinken im Sonnenschein Limonade aus den Limetten im Garten. Das macht Spaß und die Zeit fliegt nur so vorbei.



Nachmittags widmen wir uns unseren „Projekten“. Die Zusatzscheinwerfer (serienmäßig!) müssen umgebaut werden, alle Schrauben nachgezogen, Bremsleitungen verändert und noch einiges mehr. Mehr als einmal sagt Robert: „Der Monteur muss besoffen gewesen sein.“
Trotzdem sind wir von der Qualität positiv überrascht. Für knapp 2.000 Euro haben wir ein wirklich solides Bike bekommen.
Und natürlich realisiert Robert auch wieder seine bewährte Bastelidee: Im nahegelegenen Minibaumarkt – wo man uns inzwischen kennt – kaufen wir vier Abwasserrohre. Daraus baut er geniale Aufbewahrungsrohre für Werkzeug, Regenkombi, Kocher und Co. Ein Besuch beim Metallbauer zwei Blocks weiter gehört auch dazu. Robert kauft Flacheisen und fragt, ob er auch direkt die Werkstatt benutzen und die Halterungen biegen darf. „Claro, por supuesto!“ – Natürlich darf er. So kennen wir das von unseren Reisen. Hilfsbereitschaft ohne Geld zu verlangen ist selbstverständlich.



San Cristóbal am Abend
Jeden Abend schlendern wir durch die Gassen von San Cristóbal und genießen die entspannte Atmosphäre. Mal suchen wir Schlüsselanhänger für die neuen Motorräder, mal diskutieren wir über die Deko für unsere neuen Reisepartner oder lassen die Namen als Sticker produzieren. Lika und Luna werden sie „getauft“. Wichtige Reisevorbereitungen!





Die ersten Ausfahrten
Auf unseren Touren lernen wir die Berge von Chiapas kennen, die von vielen Indigenen bewohnt werden. Die Straßen wechseln ständig zwischen perfekt asphaltiert, „Kinderbadewannen-Schlaglöchern“ oder Schotterpisten. Genau richtig, um die Wendigkeit unserer neuen Reisegefährten zu testen.
Das breite Grinsen verschwindet nicht mehr aus unserem Gesicht bei unserem Tagesausflug zum Cañón del Sumidero. Nach etwa 50 Kurvenkilometern auf der alten D 190 folgen noch etwa 40 Kilometer unbefestigte, wunderschöne Strecke auf Miniwegen. Dort fahren sonst fast nur dreirädrige Piaggios oder kleine Mopeds.





Lika und Luna machen einen hervorragenden Job auf jedem Untergrund. Wir sind einfach nur begeistert vom Fahrverhalten der beiden – soviel Spaß hatten wir ehrlichgesagt gar nicht zu hoffen gewagt. Als wir mit unseren „großen 300ern“ am Ende des Pfades zwischen den Hütten auftauchen, sind wir sofort die Attraktion des kleinen Dorfes.
Der Ort heißt Libertad de Campesina und man muss bei Google Maps ziemlich weit reinzoomen, um ihn überhaupt zu finden. 300 Einwohner, keine Geschäfte, keine Restaurants. Doch dann entdecken wir ein handgemaltes Schild: Tacos! Die Rettung!

Tacos, Aussicht und ganz viel Herz
Wir parken unsere Bikes und werden von der Tochter des Hauses freundlich begrüßt. Sie erklärt die drei Taco-Varianten und wir nehmen erleichtert Platz am bunt geblümten Plastikdeckentisch. Zum Glück reicht unser Spanisch inzwischen, und so erfahren wir viel über Familie, Dorfleben und ihre selbstgemachten Maistacos.
Nach und nach wird es voller – immer mehr Familienmitglieder und Nachbarskinder kommen dazu. Alle wollen die beiden Ausländer und ihre Motorräder sehen. Mehrfach werden wir um Fotos gebeten. Wie geehrt wir uns fühlen! Und natürlich machen wir auch eigene Erinnerungsbilder.



Zwischendurch fragen wir nach einem Aussichtspunkt, den wir auf Maps gesehen haben. Sofort bietet uns Melanie an, uns zusammen mit ihrem Mann den Weg zu zeigen. Wir klettern über Zäune, laufen durch private Gärten und stehen schließlich an einem Punkt, von dem aus man in den kilometertiefen Canyon blickt- nie im Leben hätte wir diesen Pfad allein gefunden! Die warme, neblige Luft verhindert zwar das perfekte Foto – aber der Moment ist unvergesslich.



Als wir zurückkommen zu unseren Sachen am Tacogeschäft, werden wir sogar mit Musik begrüßt. Der Vater der Familie und seinen Brüdern spielen sogar ein Wunschlied für uns. In diesem Augenblick geht uns das Herz auf. Mexikanische Gastfreundschaft. Einfach wunderbar.
Eine spannende Woche liegt hinter uns mit Motorradkauf, viel Bürokratie, Bastelprojekten, Bauarbeiten, Bergstraßen, Abenteuer und unglaublicher Herzlichkeit.
Und auch wenn wir noch keine offiziellen Nummernschilder haben – eines haben wir sicher: Den Motor unseres Lebens!
ride2seetheworld

Hallo.
Ich bin jetzt schon etwas neugierig.
Das klingt soo…toll wie es immer weiter geht.
Eine Reise ohne Probleme
gibt es nicht.
Es wird immer einen Weg geben.
Bilder und Kommentare sind wirklich super.
Danke das ich dabei sein kann.
PS. Jens
Hallo Jens, wir nehmen dich gern etwas mit auf unserer Reise. Und tatsächlich empfinden wir das garnicht als Problem. Es ist eher wie in einem Spiel – wie finden wir die Lösung…
Herrje, schon wieder Erinnerungen an Südamerika… Auch dort war die Fahrt in das nächste Land immer eine Katastrophe an völlig unterschiedlichen Vorschriften, oftmals auch Bedingungen, die gar nicht erfüllbar waren. Nicht selten einfach eine Aufforderung zu „Sonderleistungen“…😀
Wünsche Euch viel Glück – ihr kriegt das sicher hin… 😎👍
Danke für die lieben Grüße- bei jedem schönen Vogel denken wir an dich!