Von Huaraz aus entscheiden wir uns für eine kleine „Abkürzung“ durch einen wunderschönen Nationalpark in Richtung Osten. Wir durchqueren den „Parque Nacional Huascaran“ auf einer kleinen unbefestigten Straße. Zunächst begeistern mich riesige Pflanzen am Rande der Piste. Ich schlage es später nach und lerne: Die „Königin der Anden“ (Puya raimondii) hat den größten Blütenstand der Welt – bis zu 8 Metern hoch. Damit hat sie es sogar ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft. Sie wächst auf einer Höhe von 3500 bis 4500 Metern und nur in den Anden. Die Pflanze wird über 100 Jahre alt und blüht nur 1 x in ihrem Leben. Und wir sehen hier so viele Blütenstände! Unglaublich spannende Natur!
Wir fahren auf dieser Piste 74 Kilometer über Berge von bis zu 4800 Metern Höhe, vorbei an Gletschern, umgeben von Gipfeln die noch so unendlich viel höher sind, dass es uns einfach nur den Atem verschlägt. Und das hat nicht nur mit der Höhe zu tun! Sicherlich zählen diese 74 Kilometern mit zu den schönsten Strecken, die wir bisher gefahren sind. Wir entscheiden uns hier zu zelten, da wir uns vor Begeisterung gar nicht trennen wollen von diesem Bergparadies. Wir finden eine perfekte Stelle für unser Lager, bauen unsere Stühle auf, kochen uns Kokatee, beobachten die neugierigen, zutraulichen Kühe (selbst die sind hier schöner) und saugen den unglaublichen Ausblick in uns auf. Leider erwischt es diesmal Robert…. Trotz wirklich viel Koka und auch einer langsamen Gewöhnung an die Höhe, da wir die letzten Nächte schon sehr hoch geschlafen hatten, spürt er wie der Kopfschmerz sich ankündigt. Also packen wir zusammen, schwingen uns auf die Bikes und verlassen so schnell wie möglich den Nationalpark und fahren 1000 Meter tiefer in ein kleines Dorf, wo Robert sich mit starken Kopfschmerzen sofort ins Bett legt. Die Höhenkrankheit schlägt zu.
Später erfahren wir von Ilona und Bert, die mit ihrem Kastenwagen auf derselben Stecke ebenfalls durch den Park gefahren waren, dass sie am Nachmittag Hagel und Schnee dort hatten. (hier könnt ihr das Video sehen) Da kann man nur sagen: „Glück im Unglück“ – denn die Kopfschmerzen der Höhenkrankheit sind wirklich heftig, aber haben uns vor einem Abend im Zelt bei Hagel und Schnee bewahrt! Wie immer sind wir auf der glücklichen Seite des Lebens.
Von Rita und Thomas hatten wir Horrorgeschichten von der Straße 3N gehört. Eine riesige Baustelle auf über 160 Kilometern, die sehr schwer zu fahren sei. So schauen wir auf der Karte nach Alternativen und finden die 109 und die 110. Es ist uns bewusst, dass sie wohl unbefestigt sein werden, wie so viele Nebenstrecken in Peru. Aber wir denken uns so: besser unbefestigt und weniger befahren, als Baustellenverkehr und Matsch. Wir biegen also bei La Union ab und werden nicht enttäuscht! Eine wirklich gut zu fahrende Schotterpiste bringt uns durch das ländliche Peru und wir genießen die einsame Fahrt. Doch plötzlich ändert sich der Untergrund! Der Anteil der Felsen nimmt zu und die steilen Serpentinen sind eine Mischung aus felsigem Untergrund mit groben Kanten und sehr losem Kies. Häufig ist die Piste extrem schmal und der tiefe Abgrund ohne Abgrenzung sehr nah. WOW! Wir sind uns einig, vor 4 Jahren hätten wir an dieser Stelle entweder umgedreht oder unsere Motorräder mehrfach in den Schotter geworfen. Aber zum Glück haben wir echt viel dazugelernt und meistern die nächsten 80 km schwierige Strecke. Es ist sehr anstrengend und erfordert unsere volle Konzentration– daher gibt es wohl auch keine Fotos von der schwierigen Strecke!
Was sind wir erleichtert, als wir die „berüchtigte“ 3N erreichen. Schlimmer kann das ja nicht werden! Wir fahren etwa 5 km bis wir plötzlich vor einer Schranke stehen – die Baustelle ist komplett gesperrt. Ich steige ab und frage unbeschwert wie lange denn die Sperrung dauern wird. Die Dame an der Schranke antwortet ungefähr genauso unbeschwert: „Bis 18 Uhr ist das Befahren der Baustelle nicht möglich!“ Shit! Es ist gerade mal kurz nach 15 Uhr! Und unabhängig davon, ob wir Lust haben in der „Mitte von Nirgendwo“ drei Stunden lang zu warten – wird es gegen 18 Uhr auch schlagartig sehr dunkel in Peru und wir wollen nicht die restlichen 100 Km bis Huanuco (der nächsten Stadt) in Dunkelheit fahren. Also erkläre ich der freundlichen Dame wieviel Angst ich hätte, im Dunkeln zu fahren und man allen Ausländern immer wieder den Rat gibt, genau das aus Sicherheitsgründen zu vermeiden und meine Show ist erfolgreich ….. sie lässt uns durch! Unglaublich! In solchen Ländern gelten Verbote halt irgendwie nicht immer für alle. Wir fahren also für die nächsten 100 Kilometer mitten durch die Baustelle, immer wieder vorbei an den arbeitenden Baggern, Raupen und Trucks und den freundlich winkenden Bauarbeitern. Wir durchqueren tiefen Kies, sehr viel Staub oder auch frisch geteerten Untergrund. Immer wieder halten uns die „Winkemännchen“ an und manchmal muss ich noch erklären, warum wir hier passieren dürfen. Andere Sicherheitsmitarbeiter achten einfach nur darauf, dass wir nicht unter die Bagger kommen oder eine Felssprengung auf uns niederprasselt und lassen uns nach einigen Minuten des Wartens dann einfach weiterfahren … Aber alles in allem klappt es wirklich gut und wir sind heilfroh, als wir um 18 Uhr total verdreckt und durchgeschwitzt in Huanaco ankommen und auch noch sofort ein Hotel mit Tiefgarage finden. Tatsächlich haben wir heute für eine Strecke von 168 Kilometern insgesamt 8 Stunden benötigt! Das ist Peru! Herausfordernd!
In Huanaco schlendern wir am nächsten Tag durch die Stadt, denn ich benötige einen Tag Erholung. Auf dem Markt fragt Robert bei einem Händler, der selbstgebastelte Sandalen verkauft, nach Sohlenmaterial und der erklärt ihm wo wir das kaufen können. Als wir die Richtung einschlagen kommen wir an einem Schuhmachergeschäft vorbei und Robert findet ein Stück stabiles Sohlengummi. Er kauft es für kleines Geld und kommt mit Victor, dem Schuhmacher ins Gespräch. Als Robert erklärt, dass er selbst gelernter Orthopädie-Schuhmacher sei und auch alle dafür benötigten Maschinen reparieren könne, leuchten die Augen von Victor auf. Er zeigt auf eine seiner alten Maschinen und erklärt, sie würde nicht mehr funktionieren. Das nun Folgende zu beobachten, erfüllt mein Herz mit unendlich großer Freude! Robert beginnt mit der Fehleranalyse, der Schuhmacher hält die Taschenlampe und staunt…. Robert erklärt ihm alles mit meiner Übersetzungshilfe und repariert innerhalb von 15 Minuten die defekte Maschine. Victor ist einfach nur sprachlos, umarmt Robert mehrfach und strahlt vor Dankbarkeit. Die Reparatur war offensichtlich schon lange notwendig und jetzt kann er wieder mit dieser Maschine arbeiten.
Ja, und als wir im Hotel ankommen, zeigt Robert mir, warum er das Sohlengummi gekauft hatte: Die Seitenständer von Daffy und Daky benötigen eine neue Verbreiterung, damit sie auch bei losem Untergrund oder im Matsch sicher stehen können! Quasi neue Sohlen für die zwei Motorräder! Mein MacGyver kann einfach alles!
Auch am nächsten Tag steht wieder eine weite Etappe auf dem Plan. Wir wollen nach Lima, um neue Reifen zu kaufen. Doch die 364 Kilometer sind in Peru für einen Tag wirklich zu weit. Also suchen wir uns nach etwa 200 gefahrenen Kilometern in La Oroya ein Hotel und finden auf Google Maps das Hotel Xian. Wir wählen oft Hotels, die nicht in Booking zu finden sind, da die in der Regel günstiger sind. Warum wählen wir genau das Hotel aus? Es hat super Bewertungen und wir waren bereits in Xian! Das ist eine Stadt in China mit 7 Millionen Einwohnern, in der wir im September 2019 auf der Stadtmauer mit dem Fahrrad geradelt sind. Erinnerungen an unsere 3- wöchige Tour quer durch China kommen auf….(hier ist der link)
Das Hotel Xian hier in den Bergen von Peru benutzt als Passwort für WLAN das Wort „Mining“ und so ist auch deutlich, wer hier die Zielgruppe ist. Die umliegenden Tagebaubetriebe werden nicht selten von chinesischen Firmen betrieben und da ist der Standard von peruanischen Hotels nicht ausreichend für das chinesische Management. So genießen wir den Luxus von beheizten Betten (hier auf 3800 Metern Höhe ist es etwa 0 Grad nachts), einer heißen Dusche, Frühstück im Bett und ein Zimmer mit nagelneuen, hellen, sauberen Möbeln für 40 Euro (inkl. Frühstück). Luxuspreise hier und Luxushotel für uns!
Gut erholt brechen wir am nächsten Morgen auf, um die restlichen Kilometer bis Lima zu fahren. Eine Großstadt vor deren Verkehr wir auch gewarnt wurden. Immerhin ist die Hautstadt von Peru mit etwa 9 Millionen Einwohnern eine der größten Städte in ganz Südamerika und der Fahrstil der Peruaner ist sehr kreativ. Es bleibt spannend und herausfordernd!
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