Nach zwei Monaten Tunesien fahren wir zwei Tage durch die Schweiz. Krasser hätte der Kulturschock nicht sein können. Was uns hier sofort auffällt: Alles ist sauber und gepflegt, funktionstüchtig und in sehr gutem Zustand. Die Straßen sind voller strahlender Teslas, BMW´s, Porsches und Land Rover, die vermutlich im Durchschnitt 1,27 Jahre alt sind und sich peinlich genau an jede Verkehrsregel halten. Und Regeln gibt es wirklich viele. Allein der Spaziergang durch den wunderschönen Park am Thuner See lässt uns 16 Schilder zählen, auf denen Verhaltensregeln und Verbote stehen. Mein Favorit: „Kehricht deponieren verboten!“ Hier ist wirklich alles anders als in Tunesien! 😊




Wie kann ich nach dieser Einleitung einen Rückblick auf unsere Zeit in Tunesien machen? Ich gebe euch einfach mal ein paar Stichworte….
Regeln: Ziemlich häufig habe ich gedacht: „In der Schule wird den Tunesiern nicht beigebracht, nur innerhalb der Linien das Bild auszumalen.“ Was meine ich damit? Regeln und Vorgaben werden nur so bedingt eingehalten. Als wir z.B. am Anfang des Ramadans nach Tunis reinfuhren, herrschte absolutes Verkehrschaos. Jede Kreuzung war verstopft, jede Ampel wurde ignoriert. Manche Fahrer versuchten sogar auf der Gegenspur vorwärts zu kommen – was zwangsläufig nur kurz von Erfolg gekrönt wurde, da der Gegenverkehr dann ebenfalls zum Erliegen kam! Das Chaos wurde nicht nur von uns mit einem Kopfschütteln beobachtet, sondern auch von den Verkehrspolizisten, die verzweifelt versuchten, den Verkehr zu regeln. Was sind schon Regeln???
Beim Parken sind die Tunesier völlige Freigeister! Man parkt einfach wo man will… Mein Favorit: Innerhalb eines Kreisels wird auf der äußersten Spur zwischen den abzweigenden Straßen geparkt. Das behindert allen in den Kreisel einfahrenden Fahrzeugen die Sicht und gleichzeitig müssen alle im Kreisel befindlichen Fahrzeuge immer in der inneren Spur fahren. Wobei eigentlich kein einziger Tunesier „innerhalb“ einer Spur fährt (siehe oben meine These mit dem Ausmalen von Bildern)!
Fahrzeuge: Über den Zustand der Autos und Mopeds konnten wir manchmal nur schmunzeln. Das Durchschnittsalter der Schweizer Autos verpassen die Tunesischen vermutlich nur um die 1 vor dem Komma. (vielleicht also eher 27 Jahre) Und auch wenn wir kein arabisch sprechen, sind wir uns sicher: Die Wörter „Ladungssicherung“ und „Maximale Zuladung“ existieren in Tunesien nicht.








Treibstoff: Wenn man im Internet nachfragt, wieviel Prozent des Benzins in Tunesien geschmuggelt ist, kommt als Antwort: „Schätzungen zufolge stammen etwa 30 bis 40 Prozent des in Tunesien konsumierten Benzins aus Schmuggelaktivitäten“. Das ist eine Zahl, die wir nach eigener Beobachtung nicht glauben! In den meisten Gegenden Tunesien (nicht nur in den Grenzregionen zu Algerien) stehen wirklich in jedem Dorf bis zu 8 – 10 illegale Benzinverkäufer an der Straße. Und ich spreche noch nicht von den großen Städten!!!! Wirklich nie haben wir einen Polizeiwagen nur in der Nähe eines solchen Verkaufsstandes gesehen – aber regelmäßig die Autos und Mopeds der Einheimischen. Sprit aus Algerien ist ein x-faches günstiger als der tunesische Treibstoff – also tanken alle einfach die Schmuggelware. Wir haben immer an Tankstellen getankt und auch immer nur den Diesel ohne Schwefel. Der war nicht überall verfügbar, aber wir hatten nie einen Engpass. Für diesen „Luxusdiesel“ haben wir etwa 0,70- 0,80 Euro pro Liter bezahlt. (Vielleicht haben wir ja die angeblich 60 % nicht geschmuggelten Treibstoff gekauft?)




Abfall: Und weil wir in der Schweiz das schöne Schild mit dem „Kehricht deponieren verboten“ erwähnt haben: In Tunesien lässt gefühlt jeder seinen Müll einfach dort fallen wo er gerade entsteht. Diese Vermüllung hat mich wirklich tief getroffen. Darüber hinwegzusehen ist mir nur selten gelungen. Jeder Strand und jeder schöne Aussichtspunkt ist übersät mit Scherben, Plastikflaschen und Feuchttüchern. In den Dörfern liegt der Müll gerne neben den Mülltonnen oder auf einem leeren Stückchen Landschaft oder einfach auf der Straße. Abfallentsorgung ist fast überall ein ungelöstes Problem und ganz offensichtlich fehlt es auch komplett am Bewusstsein. Der junge tunesische Mann, der auf der Fähre von Ralf angesprochen wurde, nachdem er seine Plastikflasche ins Meer geworfen hatte, fragt sich bestimmt heute noch worüber der Deutsche sich da so aufregte. Wirklich schlimm!



Wirtschaft: Die Revolution im Jahre 2011 gegen das autoritäre Regime von Ben Ali führte zu einigen Veränderungen im Land, aber sie führte auch zu einer großen wirtschaftlichen Unsicherheit. Hohe Arbeitslosigkeit, Inflation und steigende Staatsverschuldung wurden dann durch die Covid 19 Pandemie noch verschärft. Wir trafen einen Reisenden, der bereits mehrfach in Tunesien war, der uns bestätigte: Der Verfall des Landes wird immer schlimmer. Die Bauruinen, leerstehende Hotels, nicht beendete Wohnhäuser, Straßenbaustellen, die seit Jahren stagnieren und einiges mehr. Das Land ist strukturell in keinem guten Zustand.
Tiere: So wenig wie die Natur geachtet wird, so wenig werden die Tiere geachtet. Wir hören fast nie Singvögel odr können Meeresvögel beobachten. Wilde Tiere bekommen wir fast nie zu Gesicht. Allgegenwärtig sind allerdings die vielen streunenden Katzen und Hunde, die teilweise sehr schlimm aussehen. Ganz offensichtlich werden Tiere nicht gut behandelt und ich musste wirklich so manches Mal wegsehen, wenn ein Eselskarren völlig überladen an uns vorbeizog oder wenn ein Pferd mit eng zusammengebundenen Beinen in einer Wiese steht oder die Ziegen auf einer Müllwiese ihr Futter suchen. Hunde gibt es nicht oft als Haustier und wenn, dann nur als Wachhund in fürchterlichen Zwingern oder an einer Kette auf dem Grundstück in erbärmlichem Zustand. Kamele zu viert auf einem Pickup oder Schafe auf dem Schoß auf einem Moped zu transportieren entspricht nicht unserem Denken von Tierwohl. Die lebenden Tiere, die wartend vor dem Metzger auf der Straße angebunden sind und ihren Kumpeln, die bereits als Fell vor der Tür hängen, sind auf jeden Fall ein Sinnbild dafür: Tiere sind nichts anderes als eine Ware.




So stelle ich mir wirklich die Frage: Wie können Menschen so unglaublich gastfreundlich und offen gegenüber Fremden und gleichzeitig so gleichgültig gegenüber Tieren und Natur sein?
Denn das sind die anderen Seite von Tunesien: Wir haben uns jederzeit wohl und sicher gefühlt in diesem freundlichen Land. Die muslemische Gastfreundschaft hat es uns leicht gemacht. Überall hören wir: „Herzlich Willkommen in Tunesien“ und dem folgte so manche Einladung. Auch die kleinen Begegnungen sind sher häufig herzlich und fröhlich. Hier wird gewunken, dort die Hand aufs Herz gelegt und so manches „Salam“ in unsere Richtung gerufen. Die Menschen machen aus Tunesien ein Wohlfühlland! Bereits in meinen letzten 9 Berichten habe ich euch erzählt, wie sehr uns die Landschaften und insbesondere die Sahara faszinieren. Viele schöne Bilder füllen nach dieser Reise unseren internen Speicher. Die engen Gassen der Souks mit den bunten Waren, die trutzigen Befestigungen der Speicherburgen, die heißen Quellen, die Oasen mit ihren Dattelpalmen, der Salzsee und die hellen Dünen der Wüste – einfach wunderschön! Und als Camper hat man sehr viele Freiheiten. Es gibt so gut wie keine Verbote und wir können überall stehen; am Strand, in der Wüste, in einer Stadt oder auf einem Platz. Wenig Regeln geben uns viel Freiheit! Und nicht zuletzt möchte ich noch anmerken wie günstig dieses Land für uns. Aber ob wir jemals wiederkommen? Ich bin nicht sicher.




Wie erholsam waren die letzten vier Tage in „La Marsa“, einem sehr reichen Vorort von Tunis. Hier stehen wunderschöne große Häuser mit Blick auf das Meer. Der Strand ist sauber und die Volleyballnetze sind heile und werden täglich von fröhlichen jungen Menschen genutzt. Hier finden wir auch saubere Straßen und große Müllbehälter, die täglich geleert werden. Das reiche Tunesien ermöglicht uns sogar ein geöffnetes Dachcafé mit leckerem Essen auf europäischem Standard im Ramadan. (wir suchen sonst nie nach europäischem Standard!!!) Mein schönstes Geburtstagsgeschenk! Wie es sich nach dieser Zeit in Tunesien in der Schweiz anfühlt, kann ich gar nicht in Worte fassen. Wir sind auf einem komplett anderen Planeten gelandet. Das macht das Reisen so spannend! Jetzt fahren wir erstmal nach Deutschland und planen unsere neuen Abenteuer….


P.S. Und die immer noch ungeklärte Frage: Warum tragen so viele Tunesier ihre Schluffen mindestens 2 Nummern zu klein?

ride2seetheworld
Das trifft es vollkommen, ein super Beitrag…lG RoMa😘