Könntet ihr zwei tunesische Inseln benennen? Ich hätte es bis vor drei Wochen nicht gekonnt. Viele kennen Djerba – aber was gibt es da sonst noch?
Nicht sehr weit von der großen Hafenstadt Sfax liegt die Insel Kerkennah im Mittelmeer. Um genau zu sein, ist es sogar eine kleine Inselgruppe. Das ist unser nächstes Ziel. Die Stadt Sfax durchqueren wir mit der Engelsgeduld, die Robert beim Autofahren an den Tag legt. Der Verkehr ist wirklich sehr wuselig und jeder drängelt sich in eine Lücke – oder auch in eine noch nicht vorhandene Lücke….. Jeanette checkt während der Fahrt die Abfahrtszeiten der Fähre und sagt: „Die 14.30 Uhr schaffen wir wohl nicht, aber die nächste fährt um 16.00 Uhr“. Robert schaltet einen Gang höher und drängelt wie alle anderen – um 14.34 schließt sich das Tor zum Fähranleger HINTER uns! Der Torwächter kauft uns noch schnell das nötige Fährticket (für 14 TDN = 4,20 Euro) und der Kondor fliegt als Letzter auf das Schiff. Etwa eine Stunde herrliche ruhige Bootsfahrt bringen uns zur 20 Kilometer entfernten Insel. Da ahnen wir noch nicht welches Erlebnis die Rückfahrt wird!
Die Insel Kerkennah kann man eigentlich nur so beschreiben: Es gibt nix zu sehen außer Strand, Dattelpalmen und Müll. Nur wenige kleine Dörfer und ein kleiner Fischereihafen komplettieren das Bild. Keine Hotels, keine Industrie, keine Hügel oder Berge, keine historischen Stätten und auch von den etwa 15.000 Einwohnern der Insel bekommen wir nicht viel mit. Es gibt hier einfach viel NIX! Verstärkt wird das Ganze natürlich noch von dem sehr kalten, nassen und windigen Wetter. Die Sonne sehen wir in diesen Tagen gar nicht und so sind wir eher „indoor“ unterwegs. Wir fahren über die Insel und schauen bei angeschalteter Heizung durch unsere Fenster raus. Das war doch einer der Gründe, warum wir uns einen Van gekauft hatten 😊. Mit den Motorrädern wäre es echt sehr ungemütlich hier. Nur um unseren neuen italienischen Freunden beim Kiten zusehen zu können, ziehen wir uns mal die Schuhe aus und waten bis die ersten Erfrierungserscheinungen eintreten durchs eisige Wasser. Aber der Anblick lohnt sich. Die zwei hatten wir in El Djem kennengelernt und wir hatten keine Ahnung was für Profis wir da getroffen haben. Eine Freude sie bei ihren Sprüngen und Moves zu beobachten.
Na und dann ist da noch die unglaubliche Hilfsbereitschaft von Robert!! Es ist bereits später Nachmittag und wir kuscheln im Kondor – als Robert nach einem kurzen Spaziergang schnell zurückkommt und meint. „Ich muss mal eben einem Fischer helfen, der hat Probleme mit seinem Boot“ Wir staunen nicht schlecht, als er in Badehose wieder aus dem Kondor stürmt! Es ist wirklich saukalt! Ich ziehe mir Steppjacke und Mütze an und folge mit dem fotobereiten Handy in der zitternden Hand. Und was macht mein Held? Er steigt in das ebenso kalte Meer und hilft dem Fischer dabei, sein Boot startklar zu machen. Der ist so unglaublich glücklich und bedankt sich überschwänglich mit großen Gesten und vielen Worten – das alles im Wasser stehend!!!
Nachdem Robert wieder aufgetaut und warm angezogen im Kondor sitzt, klopft es an unserer Tür und der Fischer bringt uns ein Laib Brot. Den hatte er offensichtlich als seine Verpflegung dabei und gibt ihn jetzt an uns ab. Und was passiert am nächsten Morgen? Gegen 10 Uhr kommt der Fischer erneut bei uns vorbei und hat einen Freund mitgebracht, der etwas englisch spricht. Wiederholt bringt er seine Dankbarkeit zum Ausdruck und beschenkt uns mit einer großen Tüte Brot. Wir sind total gerührt und wissen diese Geste des Zurückkommens und Brot schenken sehr zu schätzen. Aber diese Mengen an Brot können wir gar nicht essen – daher geben wir eines an ein Kamel ab. Unser erstes Kamel (ok eigentlich ist es ein Dromedar) welches wir in Tunesien sehen, sollte es einfach auch gut haben. Hoffentlich wird der Fischer uns das verzeihen.
Und dann machen wir uns auf in Richtung Sidi Youssef wo die Fähren zum Festland ablegen. Um genau zu sein: Wo die Fähren ablegen sollten! Denn wegen des schlechten Wetters fährt seit gestern Nachmittag keine. Wir stehen bereits in der Schlange der wartenden Autos, als wir das von einem freundlichen Tunesier erklärt bekommen, der eigentlich in Deutschland lebt und uns daher die auf arabisch geschrieben Anzeigetafel gerne erklärt. Also kochen wir uns erstmal ein Mittagessen und machen es wie die Einheimischen…. Warten…. Und tatsächlich kommt etwa 4 Stunden später eine Fähre und wir sind eines der ersten Fahrzeuge das drauffährt. Hätten wir gewusst was kommt, wäre uns ein Platz in den hinteren Reihen sicherlich lieber gewesen.
Tatsächlich ist der Seegang ziemlich heftig und jede höhere Welle knallt mit tosendem Lärm gegen die vor uns aufgestellt Rampe. Und um das Spektakel auch noch etwas aufregender zu gestalten ist diese Auffahrrampe nicht dicht und mit jedem Wellenaufschlag ergießt sich ein Schwall Meerwasser über die Fahrzeuge in der ersten Reihe.
Leider habe ich seit einiger Zeit eh Probleme mit Seegang und hatte daher bereits zwei Tabletten gegen Reiseübelkeit genommen. Doch diese Fährfahrt ist echt noch mal eine Nummer heftiger. Tatsächlich verlässt mich die Zuversicht und ich liege im Bett und versuche nicht an all die gesunkenen Fähren dieser Welt zu denken. Das Mahnmal der Estonia in Estland hatten wir im Jahr 2020 besucht und die Zahl der 852 Toten ist bei mir hängengeblieben…. Aber darüber denke ich nicht nach…. Ich könnte es ja nicht schreiben, wenn wir es nicht überlebt hätten – aber die 2-stündige Rückfahrt von Kerkennah zählt definitiv zu den nicht schönen Stunden dieser Reise.
Nach „Regen“ kommt „Sonne“, nach „Grau“ kommt „Farbe“ und nach unseren Tagen in Kerkennah fahren wir nach Djerba. (problemlose Fährfahrt!!!) Zwei Inseln, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
Jeanette hat für ein paar Tage ein Apartment gebucht und so ist auch mal wieder große Wäsche angesagt. Die Sonne brennt in ganz ungewohnter Intensität und wir radeln über die Insel, während die Wäsche in Rekordzeit trocknet. Wir stehen einige Tage mit dem Kondor am Hafen von Houmt Souk und sind wirklich ganz überrascht. Wir hatten uns die Djerba viel touristischer vorgestellt und sagen immer wieder: Hier ist es doch wie in Tunesien, nur etwas sauberer. Später werden wir noch an der Südseite der Insel die riesigen Hotelanlagen und Golfplätze finden, mit denen eine künstliche Welt nur für die Touristen geschaffen wurde. Durch die hohen Mauern bleiben die beiden Welten schön getrennt. Die Touristen müssen die Hotels nicht verlassen und die Einheimischen können nicht rein. Aber in Houmt Souk vermischt sich alles auf wirklich schöne Weise.
Mein persönliches Highlight der Insel ist das Viertel „Djerba Hood“. Im Jahr 2014 veranstaltete hier eine Galerie aus Paris ein Streetart Event bei dem 250 Kunstwerke im Viertel entstanden. Als Ort dafür hatte die Galerie das Dorf Erriadh gewählt ( bedeutet: „die kleine Nachbarschaft“ und daher der Name des Projektes „Hood“), da es hier noch viel traditionelle Architektur zu sehen gibt. Auch heute noch wird dieses Projekt immer wieder weitergeführt und die Straßen und Häuser wirklich gepflegt. Eine ganz besondere Atmosphäre finden wir in diesen engen Gassen, als wir mit unseren Fahrrädern durchfahren und schieben. Hier treffen sich das reale tunesische Dorfleben mit einer teilweise touristischen Nutzung und harmonieren wunderbar miteinander. So soll es sein! Und diese vielen spannenden Kunstwerke auf den Hauswänden begeistern auch uns.
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