Ruhe und Zeit
Ruhe und Zeit

Ruhe und Zeit

Hier steht der Kondor in Sarajevo. Wir haben ihn in einer kleinen, ruhigen Seitenstraße etwa 10 min Fußweg von der Altstadt entfernt abgestellt. Ein kostenfreier, unbewachter Parkplatz, der auch unser Übernachtungsort wird. Was fällt euch auf? Es gibt zwei Veränderungen am Fahrzeug.

Kondor in Sarajevo – was fällt euch auf?

Veränderung Nummer 1 war die logische Konsequenz aus unseren Erfahrungen abseits der geteerten Straßen: Im Eingangsbereich fehlt die elektrische Trittstufe. Wie wir ja bereits geahnt hatten, ist sie bei etwas schwierigen Bodenverhältnissen einfach ungünstig angebracht und hat ziemlich schnell Boden- (bzw. Fels-)kontakt. So nutzt Robert unsere zwei geruhsamen Tage auf dem kleinen privaten Stellplatz auf der Halbinsel Scit und baut die Stufe ab. Die einzigen Nachbarn auf dem Platz sind ein super nettes Paar aus der Rhön mit ihrem Nachwuchs Karl. Vater und Sohn sind ganz interessiert an Roberts Mechanikerstunde und erben dann auch gleich die Stufe von uns. Wir verbringen unsere Zeit mit den dreien, essen zusammen unter dem Baum (tatsächlich gern im Schatten!) und die Männer gehen im Ramsko jezero schwimmen. Der Stausee soll der wärmste See in Bosnien sein – mir ist er jedenfalls zu kalt. 😊 Die Gastfreundschaft der Stellplatzbesitzer fühlt sich wieder so unglaublich gut an. Die Tochter, die in Reutlingen lebt, ist zu Besuch und so können wir (mal wieder) auf Deutsch viel über die Gegend und das Leben hier erfahren. Gleichzeitig werden wir mit Bier und einheimischen Schinken verwöhnt. Zum Abschied gibt uns die Mama noch bosnische Kuchen mit – damit wir auf dem Weg nach Sarajevo nicht verhungern!

Zweieinhalb Männer bauen die Trittstufe ab

In Sarajevo lassen wir uns am Nachmittag durch die Innenstadt treiben. Es ist Sonntag und viele einheimische Besucher genießen ihre Hauptstadt. Bei milden Temperaturen sitzen sie (und wir) im Café und beobachten das bunte Geschehen. Um ein Gefühl für unseren etwas verlassenen Parkplatz zu bekommen, hatten wir am Nachmittag als wir in die Stadt gingen einfach ein paar Badelatschen vor die Tür gestellt. So konnten wir testen, ob sie geklaut werden und gleichzeitig auch jedem vermitteln, dass unser Van nicht allein dort steht. Unsere Änderung Nummer 2 auf dem Foto oben: Badelatschen – unser zusätzlicher Diebstahlschutz für den Kondor! Was meint ihr? Standen die Latschen bei unserer Rückkehr noch vor der Tür?

Ein Abend in Sarajevo!
Diese Kaffee Sets werden überall benutzt und hier im Bazar verkauft

Für Montag früh haben wir uns zu einer Free Walking Tour angemeldet. Diese Touren basieren auf freiwilliger Bezahlung und so geben sich die Guides immer besonders viel Mühe. Auch Adis, der auf uns um kurz vor 10 Uhr am vereinbarten Treffpunkt wartet, führt seine Gruppe mit viel Begeisterung und spürbarer Liebe durch seine Stadt. In zwei Stunden vermittelt er uns Geschichte, Kultur und Tipps in einer Essenz: Belagerung der Stadt von 1992 bis 1995 während des Bosnienkrieges, Olympische Winterspiele 1984 (wer kennt noch den Wolf mit seinem Ruf: Sarajewooooo-ooo-ooo? ), Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand 1914, Österreich-Ungarische Okkupation, Osmanisches Reich. (Ende der Geschichtsstunden😊)

Hier startet unsere Stadtführung

Uns begeistert vor allem die Vielfalt der Kulturen und diese gelassene Ruhe, die diese Stadt ausstrahlt. Es wird fast nie gehupt, die Menschen wirken nicht gehetzt, die Cafés auch in den weniger touristischen Ecken sind immer gut gefüllt und wie uns Adis so charmant erklärt: „Wir sitzen gern stundenlang bei einem guten bosnischen Kaffee zusammen und reden. Dabei lösen wir alle Probleme dieser Welt – nur nicht unsere eigenen.“

Die Stadt gefällt uns wirklich gut, aber wie so oft bei uns: nach zwei Tagen zieht es uns wieder in die Natur. Lukomir ist das höchstgelegene Dorf des Landes und mit seinen etwa 30 Einwohnern hat es eine gewisse Bekanntheit erlangt. Auf über 1300 Metern Höhe gibt es ein paar Restaurants und Übernachtungsmöglichkeiten und die Einheimischen sind auf Besucher eingestellt. Für die etwa 40 Kilometer von Sarajevo bis hierher brauchen wir mal wieder etwas länger! Die Bergwelt mit seiner unglaublichen Stille fängt uns ein und wir finden einen tollen Platz zum Übernachten. Zum Glück haben wir unsere Steppjacken dabei: Unser Abendspaziergang endet bei wunderschönem Sonnenuntergang und eisiger Kälte. Die sternenklare Nacht verbringen wir bei -4 Grad in absoluter Einsamkeit.

Auf dem Weg nach Lukomir
Hier bleiben wir einfach stehen über Nacht
Mein Model!!!!!! (und Traummann)

In Lukomir starten wir auf eine Wandertour und pellen uns innerhalb kurzer Zeit aus Steppjacke und Pullover, um dann ein paar Stunden später erschöpft aber glücklich unser Mittagessen in einem urigen Restaurant auf der Terrasse bei über 20 Grad zu genießen. Außer uns sitzen noch 3 Teams einer ungarischen Offroadrally in der Sonne und wir quatschen mit einer netten ungarischen Familie, die mit ihrem Ford Ranger häufiger an solchen Rallys teilnimmt.

Lukomir
Wir essen typische Gerichte: Pita und Lammfleisch geschmort.

Da uns die letzte Nacht im „Nirgendwo“ so unglaublich gut gefallen hat, verlassen wir nach dem Mittagessen Lukomir wieder. Wir wollen weiter in Richtung Süden, in die absolut einsame und unberührte Bergwelt von Bosnien. Es ist lange her, dass wir in einem so dünn besiedelten Gebiet, mit fast keinem Verkehr gefahren sind. Wir finden einen Platz für die Nacht, der uns gut gefällt. Aus Erfahrung suchen wir nach möglichst langer Sonneneinstrahlung. Wir kommen an, stellen unsere Stühle auf, öffnen eine leckere Flasche Wein und beobachten das NICHTS. Und wir hören NICHTS. Wunderbar! Plötzlich nähert sich ein dröhnendes Geräusch, hinter dem Kondor brettert ein Auto mit hoher Geschwindigkeit vorbei und direkt in unserem Blickfeld jagt ein Rallyfahrzeug den steilen Berg hoch. Wir können uns vor Lachen gar nicht mehr einkriegen: Unser vermeintlich verlassener und idyllischer Stellplatz entpuppt sich als VIP-Sitzplatz einer Offroadaufgabe der Ungarn-Bosnien Rally! Wir schlürfen also unseren Wein in der Sonne, machen ein paar Fotos, beurteilen die unterschiedlichen Fahrweisen und sehen etwa noch 10 Fahrzeuge, die sich auf den Berg hocharbeiten. Auch unsere Familie vom Mittagessen ist dabei, die diese Challenge mit Bravour meistern! Wir tauschen Telefonnummern aus und ich schicke ihnen später meine Fotos von ihrer Fahrt. Die Nacht wird glücklicherweise wieder absolut still und wir sind allein.

Wir genießen die Sonne, den Wein und die Ruhe! Bis….
Das Foto schickt mir meine neue ungarische Freundin von oben
Davon unbeeindruckt tragen diese zwei ihre Fundstücke aus den Bergen heim.

Diese Einsamkeit setzt sich am nächsten Tag fort. Wir fahren in Richtung Mostar und die Straßen hier sind klein, meistens unbefestigt und vor allem wenig benutzt. Innerhalb von 3 Stunden Fahrt sehen wir 4 weitere Fahrzeuge!! So machen wir auch unsere Mittagspause einfach indem wir den Kondor auf dem Weg stehen lassen und unsere Stühle und Tisch an den Platz mit der schönsten Aussicht ins Tal stellen. Ein Fahrradfahrer kommt vorbei! (der natürlich deutsch spricht). Die weitere Fahrt nach Mostar ist holprig – aber wunderschön!!!

Auf der Fahrt füllen wir unser Wasser auf und der Dorfhund nutzt die Gelegenheit zum markieren vom Kondor.
Wir essen am Straßenrand 🙂
und das ist die „Straße“

Was kann ich über Mostar schreiben?  Wir sind so unglaublich froh, nicht zur Hauptsaison hier zu sein! Die berühmte alte Brücke erleben wir sogar leer! Und in der schönen Altstadt können wir entspannt schlendern und die Souvenirshops bestaunen. Wir laufen natürlich auch abseits der ausgetretenen Touristenpfade und erkunden die Stadt. Wir schauen uns die beeindruckende (offensichtlich inaktive) Baustelle der Pravoslavna Kathedrale an. Im Kirchenschiff geben uns Fotos einen Einblick, wie die imposante Kirche vor dem Krieg ausgesehen hat, wie hoch der Trümmerberg im Krieg war und wie jetzt dieser Wiederaufbau geplant und durchgeführt wird. Wie so viele Gebäude in Mostar, wird sie originalgetreu aber modernisiert wieder aufgebaut. Und wir finden auch ein paar kleine versteckte „Juwelen“ der Stadt. Besonders begeistert uns die winzige Skulptur von einem ukrainischen Künstler, die wir zufällig entdecken, als wir die berühmte „Alte Brücke“ von unten fotografieren wollen. Zum Sonnenuntergang schicken wir den Kondor einige Serpentinen hoch, um ihn mal wieder „wild“ auf einem Hochplateau abzustellen. Ohne ihn gehen wir auf den gläsernen „Skywalk“ und schauen uns Mostar aus der Vogelperspektive an. Die Rufe der Muezzin schallen zu uns hoch. Einfach schön! Und weil uns der Skywalk so gut gefallen hat und er frei zugänglich ist, gehen wir am späten Abend einfach nochmal drauf. Wie schön ist es, Zeit zu haben!

Die berühmte Brücke von Mostar
Ein seltenes Bild! Die „Alte Brücke“ leer.
Die Altstadt
Mittag in „Poolposition“
Vieles wird wieder aufgebaut nach dem Krieg
Natürlich schauen wir uns auch eine Moschee an.
Die Miniskulptur von Kolodko ist unser „Highlight“
Sie ist wirklich klein….
Der Skywalk am Abend
und in der Nacht!

Nachtrag zu unserer „Latschenfrage“ am Anfang des Berichtes: Wir hatten es nicht anders erwartet – die Latschen standen auch nach mehreren Stunden noch vor dem Kondor.

ride2seetheworld

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